
„Masel tov” erforscht die Vertrautheit im Fremden und das Fremde in uns selbst.
Ein außergewöhnliches Buch, mutig und humorvoll zugleich.
– Deborah Feldman, Autorin des Bestsellers Unorthodox –
Sechs Jahre lang begleitet die Studentin Margot die Kinder der jüdisch-orthodoxen Familie Schneider: Sie gibt Nachhilfestunden und Radfahrunterricht, tröstet in Krisensituationen und hat stets ein offenes Ohr. Besonders durch den engen Kontakt zu Tochter Elzira und Sohn Jakov bekommt Margot so immer tiefere Einblicke in eine verschlossene Welt, deren strenge Gebote und jahrhundertealte Traditionen sie faszinieren und zugleich befremden. Auch als die Kinder das Elternhaus verlassen, bleibt sie der Familie tief verbunden.
In diesem Buch erzählt Margot die Geschichte dieser besonderen und manchmal auch schwierigen Verbindung – und liefert ein bewegendes Plädoyer für Offenheit und Toleranz.
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Vier
Die erste halbe Stunde saß ich Mijnheer Schneider in einem
Raum gegenüber, der »Arbeitszimmer« genannt wurde. Er befand sich am hinteren Ende des Erdgeschosses, gleich nach dem
Lift.
Ein Lift! Nie hätte ich gedacht, dass es solchen Luxus gab.
Dass in dieser Stadt Leute wohnten, Leute ohne körperliche
Einschränkungen, die sich einen Lift einbauen ließen!
Die dicke weiße Auslegeware, in der meine Füße regelrecht
versanken, beeindruckte mich sehr. Meine Mutter bevorzugte
Fliesen: Kippte man einen Eimer Seifenwasser darüber, waren
sie im Nu sauber geschrubbt. In diesem Haus hatte man den
Eingangsbereich mit hochflorigem weißem Teppich ausgelegt.
An einer Flurwand flimmerten Videoaufnahmen: die Straße
aus verschiedenen Blickwinkeln.
Ein nur verschwommen erkennbarer Passant lief vorbei.
Jemand warf Werbung in die Briefkästen.
Im Arbeitszimmer standen ein Schreibtisch und ein Regal, bei
dem nur in einem Fach Bücher einsortiert waren. Die Grammatik der Gebrüder Bescherelle und das Französisch-Wörterbuch Petit Robert erkannte ich auf Anhieb am jeweiligen Einband. Die anderen Titel waren hebräische Werke, heilige Texte
vermutlich, denn so sahen sie zumindest aus: dicke, in Leder
gebundene Wälzer voller goldener Lettern und Schnörkel auf
dem Buchrücken.
Die bodentiefen Fenster gingen auf den Garten hinaus, dessen Blickfang ein Teich mit Brücke war – und das mitten in der
Stadt! Am Ende der großen Marmorterrasse befand sich ein
Basketballständer mit Korb, und ein Stück weiter weg hing eine
Schaukel an einem knallrot lackierten Gestell. Der Rasen war
perfekt gepflegt: grüne, frisch gemähte Halme.
Wie sich herausstellte, war Mijnheer Schneider ein hochgewachsener, schlanker Mann. Er trug einen dunklen Anzug, ein
weißes Hemd und ein dunkelblaues Scheitelkäppchen. Er hatte
keine Schläfenlocken, und sein dichter, schwarzgrau melierter
Bart hing ihm nicht wie ein Lätzchen auf die Brust, sondern bedeckte gerade einmal wie Flaum die Haut.
Mijnheer Schneider verfügte über eine kräftige Stimme, und
sein Niederländisch hatte keinen so starken französischen Akzent
wie das seiner Frau. Er erinnerte mich ein wenig an meinen
Vater – nur in jüdischer Ausführung und mit tiefen Falten auf
der Stirn und um die Augen. Es gibt Menschen, die niemals
rosige Wangen haben. Dazu schien auch Mijnheer Schneider zu
gehören. Sein Teint wirkte so, als wäre er stets aschfahl. Nur der
seinen Mund einrahmende Vollbart verlieh seinem Gesicht etwas
Farbe.
»Wollen wir es bei diesem einen Mal belassen?«, sagte Mijnheer Schneider, nachdem wir uns die Hand gegeben hatten. Ich
verstand nicht, was er meinte. Er zog sein Jackett aus und
hängte es sorgfältig über seinen Stuhl, achtete peinlich genau
darauf, dass die Schultern auf den Ecken der Rückenlehne ruhten. Dann bat er mich, Platz zu nehmen.
»Wenn Sie mir die Hand geben, schlage ich ein, mein Fräulein«, erklärte er, als hätte er meine Verwirrung bemerkt. »Weil
ich Sie und Ihre Sitten und Gebräuche respektiere, nicht wahr.
Aber sicherheitshalber geben wir orthodoxen Juden Frauen nicht
die Hand. Das hat etwas mit Reinheit und so zu tun, führt jetzt
aber an dieser Stelle zu weit. Es wäre schön, wenn Sie unseren
Brauch respektieren würden.«
Ich lächelte ihn an. Ziemlich dämlich vermutlich. Ich warf
einen Blick auf meine Rechte und überlegte, was daran unrein
sein konnte. Zugegebenermaßen waren meine Finger mit TippEx beschmiert.
In einem tiefen Fach des Bücherregals lag umgeben von drei
runden Pappschachteln ein schwarzer Hut mit einer breiten, steifen Krempe. Ich hatte erst kürzlich auf dem Flohmarkt eine ganz
ähnliche Schachtel von Borsalino erstanden: Darin bewahrte ich
die gesamte Korrespondenz meines bisherigen Lebens auf.
Mijnheer Schneider hielt mir einen Monolog. Pausen, in denen ich zu Wort kommen konnte, gab es keine, und wenn ich
versuchte, ihm eine Frage zu stellen, ließ er die Unterbrechung
geschehen wie ein Politiker in einer Talkshow: Gleich darauf
sprach er ungerührt weiter.
»Ich habe vier fantastische Kinder«, sagte er, »zwei vorbildliche Söhne und zwei ebenso vorbildliche Töchter. Sie sind logicherweise alle sehr unterschiedlich, und ich werde versuchen,
Ihnen das etwas näher zu erklären.
Bitte nicht!, dachte ich. Ich hasse vorbildliche Kinder, hab
mich noch nie mit ihnen anfreunden können und die meisten
schon von Weitem erkannt, ihnen ihre Vorbildlichkeit bereits an
den Schuhen angesehen, daran, wie sie gingen und schauten:
Das Ausmaß ihrer Vorbildlichkeit ließ sich an der Kinnhaltung
ablesen.
»Simon, unser Ältester«, hob Mijnheer Schneider an, »ist
jetzt sechzehn. Er kommt nach seiner Mutter, meiner Gattin –
charakterlich, meine ich. Er ist sanftmütig, aber auch unnachgiebig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie werden es schon
noch begreifen, wenn Sie meine Gattin kennenlernen. Er kann
hart arbeiten und schweigt lieber, als zu reden, genau so ist er,
aber Sie dürfen ihn nicht unterschätzen. Er hat das Herz auf
dem rechten Fleck und ist nicht auf den Mund gefallen.«
Genau so drückte er sich aus, und ich musste unwillkürlich
lächeln.
»Wenn Simon den Mund aufmacht, mein Fräulein, dann
nur, wenn er wirklich was zu sagen hat, wenn Sie verstehen, was
ich meine. N’importe: Sie werden nicht viel mit ihm zu tun
haben, seine Fächer sind Mathematik und die Naturwissenschaften. Simons Schwerpunkt ist zu kompliziert und zu speziell für
Sie, Sie haben Sprachtalent, wenn ich das richtig verstanden
habe, Ihr Gehirn funktioniert anders, nicht wahr, Sie können
unserem Simon höchstens in den Fächern Französisch und Niederländisch helfen, vielleicht auch in Geschichte und Erdkunde.
Unser Ältester wird sich schon melden, wenn er Sie braucht.
Aber für den Fall der Fälle wollen wir schon, dass er auf Sie zählen kann, nicht wahr.«
»Natürlich«, sagte ich.
»Jakov ist unser zweites Kind«, fuhr er fort. »Wir haben kurz
hintereinander zwei Jungen und dann zwei Mädchen bekommen, müssen Sie wissen. Es hätte gar nicht besser laufen können: erst die Söhne, dann die Töchter. Wir sind gesegnet, meine
Gattin und ich. Jakov ist dreizehn und wird nächsten Monat
vierzehn. Er ist genau wie ich: ein kleiner Angeber, der in seiner
Klasse sehr beliebt ist. Ich darf das sagen, denn ich war früher
ganz genauso. Jakov hat viele Freunde, wie ich damals. Er ist
kontaktfreudig und sehr sozial eingestellt. Wir müssen aufpassen, dass er nicht zu rasch Kontakte knüpft, schon gar nicht zu
Mädchen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich konnte früher in Ruhe abwarten, bis es so weit war. Aber meine Gattin
und ich haben in den Siebzigern geheiratet. Seitdem ist vieles
anders geworden, alles ändert sich viel zu schnell, und Jakov
mag es schnell. Er ist sehr aufgeweckt. Er probiert gern etwas
Neues aus und liebt die Aufregung. Er wird also Grenzen austesten, Herausforderungen suchen. Ich weiß nicht, ob Jakov Sie
brauchen wird. Er ist sehr eigensinnig. Trotzdem hätten wir
gerne, dass Sie ihn über seinen Lehrstoff regelmäßig abfragen.
Er braucht Disziplin. Sie müssen streng zu ihm sein, aber nicht
zu streng, finden Sie den goldenen Mittelweg.«
Ich nickte nachdrücklich, aber auch ziemlich gelangweilt.
Ich wollte seine Söhne, diese vorbildlichen Jungen, lieber persönlich kennenlernen, als mir seine Lobreden anzuhören, traute
mich aber nicht, ihm das zu sagen.
»Elzira und Sara haben Sie ja bereits gesehen«, fuhr Mijnheer
Schneider fort.
Ich ertappte mich dabei, erneut zu nicken.
»Elzira ist unsere älteste Tochter, Sara unser Nesthäkchen.
Elzira ist im August zwölf geworden. Sie ist keine zwei Jahre
jünger als Jakov. Ich werde das in ihrer Gegenwart niemals laut
sagen, aber Elzira ist klüger als ihre beiden großen Brüder zusammen. Sie kann sich bloß nicht lange konzentrieren, wird
rasch nervös, und das macht uns Sorgen.«
Er hielt kurz inne. Ein hochgewachsener Junge ging durch
den Garten.
»Die Schule hat uns geraten, psychologische Tests durchführen zu lassen, und das haben wir auch getan. Mit ihr ist alles in
Ordnung. Sie ist nur ein wenig speziell.«
Wieder hielt er kurz inne.
»Sie werden sich hauptsächlich um Elzira kümmern. Unserer
Tochter fehlt es an Selbstvertrauen, wissen Sie, wie im Grunde
allen halbwüchsigen Mädchen. Sie ist sehr unsicher, und Simon
und Jakov untergraben ihr ohnehin schon geringes Selbstwertgefühl, auch wenn wir versuchen, unseren garçons klarzumachen, dass sie das nicht dürfen, nicht wahr. Ich kann Ihnen ein
Beispiel nennen: Jakov weigert sich, mit Elzira Schach zu spielen, obwohl sie keine schlechte Gegnerin ist. Er will nicht mit
ihr spielen, weil er schon im Vorfeld weiß, dass sie die Hälfte
der Figuren umwerfen wird …« Er starrte bestimmt eine halbe
Minute vor sich hin. Die dreißig Sekunden zogen sich hin.
»Ich sage Ihnen das ganz im Vertrauen: Elzira hat – ihre offizielle Diagnose lautet Dyspraxie. Ich weiß nicht, ob Sie diese
Störung kennen. Ihre Behinderung – aber so nennen wir diese
Störung in ihrem Beisein nie – hat nichts mit ihrer Intelligenz
zu tun, nicht wahr. Ihre Motorik dreht regelmäßig durch, c’est
tout. Sie kann keine feinen Bewegungen machen und hat
Gleichgewichts- und Koordinationsprobleme. Sie hat einen
Tremor wie Parkinsonpatienten, nicht wahr. Ihre Hände zittern
manchmal, sie kann ihre Muskeln nicht kontrollieren, lässt
häufig etwas fallen und wirkt daher manchmal recht ungeschickt. Die eine Hirnhälfte kommuniziert nicht immer schnell
genug mit der anderen, so müssen Sie sich das vorstellen. Eine
Art Kurzschlussreaktion, aber mit ihrer Intelligenz hat diese
Ungeschicklichkeit nichts zu tun, nicht wahr, noch einmal: Ich
kann es nur wiederholen, mit ihrer Intelligenz ist alles in Ordnung.«
Ich hatte mich in meinem Stuhl aufgerichtet, weil Herr
Schneider angefangen hatte, immer schneller zu reden, und immer öfter »nicht wahr« sagte.
»Sie wissen natürlich, dass ein Mensch, der sich entfalten soll,
nicht ohne Selbstvertrauen, Motivation und Ehrgeiz auskommt.
Nun, wir haben Angst, dass sich unsere Tochter wegen dieser
sogenannten Störung immer mehr in sich zurückzieht und
ängstlich wird. Sie darf auf keinen Fall ins Hintertreffen geraten. Das wäre einfach nicht fair. Wir wollen nicht, dass sie leiden muss. Wir wollen nicht, dass über sie gelästert wird. Das ist
Ihre wichtigste Aufgabe: Geduld mit Elzira haben und dafür
sorgen, dass sie gute Noten schreibt.«
Seine Augen waren feucht geworden, und er hüstelte zwischen den Sätzen, doch seinem Tempo tat das keinen Abbruch.
»Und dann ist da noch last but not least Sara ohne H. Sara ist
erst acht. Sie ist eine fantastische Turnerin, so biegsam wie eine
Schlange. Wir wissen nicht, von wem sie dieses seltsame, nutzlose Talent geerbt hat, von mir jedenfalls nicht! Auch meine
Gattin hat viele Begabungen, aber Gelenkigkeit gehört definitiv
nicht dazu. Ginge es nach Sara, würde sie nichts als Sport treiben. Das kommt allerdings nicht infrage, nicht bei uns. Wir
wollen Sie darin keinesfalls fördern. Nicht einmal, wenn sie das
Potenzial hätte, Turnweltmeisterin zu werden. Wir wollen, dass
sie ihre grauen Zellen trainiert. Noch ist sie erst acht. Aber bald
ist sie achtzehn, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich gehe
davon aus, dass Sie mich verstehen.«
»Ja«, hörte ich mich sagen.
»Also, mein Fräulein, ich fasse zur Sicherheit noch einmal
zusammen, was wir voneinander erwarten: wir von Ihnen, unsere Kinder von Ihnen, wir alle voneinander«, fuhr er fort. »Wir
geben unsere Söhne und Töchter in Ihre Obhut. Und Sie schenken ihnen Aufmerksamkeit. Sie helfen ihnen bei den Hausaufgaben. Sie sind ihre Nachhilfelehrerin. Sie befassen sich mit
ihrem Lehrplan und halten sich daran. Sie sorgen dafür, dass sie
gute Noten schreiben, nicht wahr. Und wir entlohnen Sie für
Ihre Mühen. Sie führen eine Liste mit den Stunden, die Sie gearbeitet haben. Außerdem schildern Sie en mots clés, keywords,
auf was Sie die Stunden mit den Kindern verwandt haben, abgemacht? Können meine Gattin und ich uns auf Sie verlassen?«
Mir schwindelte. Ich ließ Mijnheer Schneiders Litanei über
mich ergehen und sehnte mich dringend nach frischer Luft. In
dem kleinen Zimmer war es stickig geworden. Auf dem großen
Balkon schräg über mir schüttelte eine Frau ein Geschirrtuch
aus. Mir fiel auf, dass Mijnheer Schneider mehrmals »meine
Gattin« gesagt hatte, nie »meine Frau«.
Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Ich wollte die
vier gern kennenlernen. Mit Mini und Maxi reden. Und die
fantastischen Söhne persönlich erleben. Außerdem wünschte
ich mir, dass mir Mijnheer Schneider ein paar Fragen stellte. Ich
hatte mir schließlich nicht umsonst eine Reihe von Antworten
auf fiktive Fragen zurechtgelegt: »Was sagen Sie zu Ihrem Gehalt? Was sind Ihre Stärken und Schwächen? Wie gut sind Sie
in Sprachen? Erzählen Sie doch mal, warum Sie glauben, für
unsere Kinder die Richtige zu sein …«
Mijnheer Schneider ergriff erneut das Wort. Er ließ durchblicken, dass ich den Job bereits hatte und sofort anfangen könne.
Dass er das beschlossen hatte, ohne mich zu fragen, ob ich mir
das überhaupt vorstellen könne, machte mich bockig. Ich fand,
dass es höchste Zeit wurde, zu gehen. Noch bevor ich Anstalten
machen konnte, mich zu erheben, klopfte es an der Tür. Eine
Frau mit Schürze um die mollige Taille, das Haar unter einem
karierten Häubchen verborgen, kam mit einem Tablett ins Zimmer. Sie stellte zwei dampfende Kaffeetassen und zwei Stücke
Käsekuchen vor uns hin und verschwand wortlos.
»Kennen Sie den Witz von Moos, der auf dem Sterbebett seinen Geschäftspartner Amos zu sich rufen lässt?«, fragte Mijnheer Schneider und begann sofort zu erzählen: von Moos, der
nicht sterben will, bevor er Amos, seinen Geschäftspartner,
nicht wegen einiger Dinge um Vergebung gebeten hat.
»›Weißt du noch, als unsere erste Firma pleitegegangen ist?
Das war meine Schuld, Amos, und das tut mir leid. Ich hab die
Buchhaltung gefälscht. Ich hab geschummelt und Geld veruntreut.‹
›Ich vergebe dir, Moos‹, beruhigt ihn Amos.
Daraufhin sagt Moos: ›Und das Auto, das nachts zu Schrott
gefahren wurde. Das war ich, Amos, ich hatte meine Brille
nicht auf und zu viel getrunken …‹
›Schon vergessen‹, sagt Amos.
›Und damals, als hunderttausend Franc zu wenig im Safe
waren: Ich hab das Geld rausgenommen, weil ich die Spielschulden meines Sohnes bezahlen musste.‹
›Ach‹, sagt Amos, »mach dir nichts draus, Moos, ich vergebe
dir alles. Denn weißt du, das Arsen, an dem du in der nächsten
Stunde sterben wirst, hab ich dir in den Frühstückskaffee getan.‹«
Nach diesem Witz brach Herr Schneider in lautes Gelächter
aus. Weil er nicht aufhörte, mich erwartungsvoll anzusehen,
lachte ich angestrengt mit.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte er genauso abrupt, wie er mit
dem Witz begonnen hatte. Er hatte seinen Kuchen nicht angerührt.
Er stand auf, rückte seine Scheitelkappe zurecht, die mit einer
Haarnadel an seinem Lockenschopf befestigt war, und zog das
Jackett wieder an. Sein Hemd wies frische Schweißflecken unter
den Achseln auf.
»Meine Gattin wird gleich mit Ihnen sprechen. Ich wünsche
Ihnen viel Erfolg.«
Automatisch gab ich ihm die Hand, die er herzlich schüttelte.
Ich hätte mir am liebsten vor den Kopf geschlagen.
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Bücher für den Urlaub II – Autoren der Jüdischen Allgemeinen empfehlen die besten Neuerscheinungen für den Sommer
Königliche Strandlektüre
In Wallonisch‐Brabant, so vermeldeten es die einschlägigen Blätter, habe die belgische Königsfamilie ihren letztjährigen Sommerurlaub verlebt. Ob sich im royalen Reisegepäck wohl auch eine Ausgabe von Masel tov befand? J. S. Margots autobiografischer Roman über ihre »ungewöhnliche Freundschaft mit einer jüdisch‐orthodoxen Familie« gilt laut Verlag als das Lieblingsbuch von Königin Mathilde. Seine Geschichte beginnt im Antwerpen des Jahres 1987: Die 20‐jährige Studentin Margot wird von dem wohlhabenden jüdisch‐orthodoxen Diamantenhändlerehepaar Schneider als Nachhilfelehrerin für ihre vier Kinder engagiert. Zwei Welten treffen aufeinander. Herrschen anfangs noch profunde Irritationen vor, weichen diese rasch gegenseitiger Faszination – und langjähriger Freundschaft. In Masel tov geht es um Offenheit und Intoleranz, Gutmenschentum und Antisemitismus, Kaschrut und Eruvim, jüdische Witze und heilsames Schweigen –prächtig geeignet für einen königlichen Strandurlaub. Amir Wechsler
- S. Margot: »Masel tov. Meine ungewöhnliche Freundschaft mit einer jüdisch‐orthodoxen Familie«. Piper, München 2019, 333 S., 15 €
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